Kulturschock in Chemnitz, so könnte man das Wochenende grob beschreiben. Da soll mal einer sagen, Chemnitz habe kulturell nichts zu bieten. Es begann am Freitagabend mit der Nacht der offenen Kirchen, die uns in immerhin 5 Chemnitzer Kirchen führte. Bei Luthers gab es romantische Orgelmusik an der Sauer Orgel, die wie die ganze Kirche in feinstem Jugendstil gestaltet ist. Dann besichtigten wir die Jugendkirche, Jakobi und Petri. Während man bei Jakobi sehr beflissen betete quälte man in der Petrikirche allerlei Blechinstrumente – beides hielten wir nur wenige Minuten aus. Daraufhin zog es uns zur Kreuzkirche, wo interessante Konzerte avisiert waren, die unsere Erwartungen dann aber bei weitem übertrafen.
Zuerst gab es die Goldberg Variationen, aber nicht etwa wie gewohnt am Klavier oder gar Cembalo, sondern in einer Variante für Streichertrio. Eine absolut hinreissende Interpretation, die mir sogar fast interessanter als die Klaviereinspielungen erschien. Die einzelnen Stimmen erscheinen wesentlich transparenter und man denkt fast, das Stück wäre für diese Instrumente geschrieben worden.
Das zweite Konzert in der Kreuzkirche bestritt dann der Chor „Die Kantorianer“ unter Leitung von Martin Sturm. Martins verschiedene Chöre sind mir ja lange für solide Chormusik bekannt, aber was die Kantorianer zum besten gaben, war absolut spektakulär, Chormusik auf hohem Niveau und mit einem ebenso interessanten wie anspruchsvollen Repertoire. Zu dieser Entwicklung kann man echt nur gratulieren, zumal wenn man bedenkt, dass dort ausschliesslich Laien auftreten, die sich auch nur selten zu Proben treffen.
Abgerundet wurde der angenehme Abend in der Kreuzkirche aber auch durch viele angenehme Begegnungen mit Freunden und Bekannten, so dass wir schließlich mit Pfarrers und Martin noch bis weit in die Nacht bei angeregtem Gespräch versumpften.
Am Samstag haben wir es dann, dank des miesen Wetters, endlich mal geschafft, die Sammlung Gunzenhauser zu besuchen. Man kann der Stadt zu dieser Kunstsammlung eigentlich nur gratulieren. Die präsentierte Auswahl von Werken von Dix, Jawlensky, Münter und wie sie alle heissen kann sicher in der Oberliga der Kunstsammlungen mitspielen. Die Vielzahl der gezeigten hochkarätigen Werke einzelner Künstler erlaubt es, Entwicklungen nachzuvollziehen, insbesondere bei Jawlensky wird das durch eine kluge Hängung auch schön unterstützt. Nicht zuletzt trägt aber auch das Gebäude und dessen architektonische Umgestaltung zum guten Eindruck dieses Muesums bei, die durchgehende Treppe, die immer wieder Blicke zur Sammlung erlaubt, ist ein architektonischer Geniestreich. Aber auch die Ruheecken mit den bodentiefen Fenstern sind absolute Blickfänge, die zum Betrachten des lebenden Gemäldes Großstadt einladen.
Schließlich sind wir Samstag abend noch in der Oper gewesen bei der Westsidestory. Eine sehr schöne und lebendige Inszenierung mit der großartigen Musik von Bernstein und vielen exzellenten Tanzeinlagen der Chemnitzer Company. Etwas gelitten hat die Aufführung allerdings unter der mangelnden Stimmkraft insbesondere der weiblichen Darsteller. Einzig die Rolle des Tony konnte stimmliche Glanzpunkte setzen. Das sollte eigentlich, auch wenn es „nur“ Musical ist, besser gehen, wenngleich es sicher nicht leicht ist, Künstler zu finden, die ebenso souverän tanzen wie singen können.
Alles in allem ein tolles Kulturwochenende nach dem man gar nichts anderes kann, als heute ein Partei zu wählen, der man zutraut, dieses kulturelle Niveau in Chemnitz zu halten.